KLEINE SCHWERTKUNDE

Nachdem er die Domia abr Wyrda sicher in seinem Zelt verstaut hatte, machte sich Eragon auf zum Waffenlager der Varden, einem geräumigen offenen Zelt mit Gestellen voller Speere, Schwerter, Piken, Bogen und Armbrüste. In Holzkisten lagerten Schilde und Lederrüstungen. Die wertvolleren Kettenhemden, Wämser, Kettenhauben und Beinschienen hingen an hölzernen Ständern. Hunderte konische Helme glänzten wie poliertes Silber. Dicke Pfeilbündel standen im Zelt aufgereiht, und in der Mitte saßen rund zwanzig Pfeilmacher, die damit beschäftigt waren, die Pfeile zu reparieren, deren Federn bei der Schlacht auf den Brennenden Steppen beschädigt worden waren. Ein nicht abreißender Strom von Menschen ging in dem Pavillon ein und aus, manche brachten Waffen und Rüstungen zur Reparatur, andere neue Rekruten zum Einkleiden und wieder andere holten Ausrüstungsgegenstände für die verschiedenen Teile des Lagers. Dabei schrien alle durcheinander, was ihre Lungen hergaben. Und mittendrin stand der Mann, zu dem Eragon wollte: Fredric, der Waffenmeister der Varden.
Bloëdhgarm begleitete Eragon. Sobald die beiden den Fuß unter das Zeltdach gesetzt hatten, wurde es schlagartig still und sämtliche Blicke richteten sich auf sie. Dann nahmen die Leute ihre Arbeit wieder auf, schienen sich jetzt jedoch mehr zu beeilen und sprachen mit gedämpften Stimmen.
Fredric eilte mit zum Gruß erhobenem Arm auf sie zu. Wie immer trug er seine Rüstung aus zotteligem Rinderleder - die fast so stank wie das Tier selbst wohl einmal - und quer über dem Rücken einen massiven Zweihänder, dessen Griff über seine rechte Schulter ragte. »Schattentöter!«, rief er dröhnend. »Womit kann ich dir an diesem wunderschönen Nachmittag dienen?«
»Ich brauche ein Schwert.«
Ein gutmütiges Lachen brach durch Fredrics Bart. »Soso, ich habe mich schon gefragt, wann du deswegen zu mir kommen würdest. Als du so mit leeren Händen zum Helgrind aufgebrochen bist, dachte ich, du stehst inzwischen vielleicht über diesen Dingen und kämpfst jetzt nur noch mit Magie.«
»Nein, nein, so weit ist es noch nicht.«
»Na ja, ich kann nicht gerade sagen, dass mir das leidtut. Jeder kann ein gutes Schwert gebrauchen, egal über wie viel Zauberkraft er verfügt. Am Ende trifft doch immer Stahl auf Stahl. Wirst schon sehen, auch dieser Krieg gegen das Imperium wird so enden, dass sich eine Schwertspitze in Galbatorix’ vermaledeites Herz bohrt. Ich verwette einen Jahressold darauf, dass selbst Galbatorix ein eigenes Schwert besitzt und es auch benutzt,obwohl er dich mit einem Fingerschnippen ausnehmen könnte wie einen Fisch. Es geht doch nichts über das Gefühl von solidem Stahl in der Faust.«
Unterdessen führte er sie zu einem etwas abseitsstehenden Regal mit Schwertern. »Was für eins willst du haben? Dein Zar’roc war ein Einhänder, wenn ich mich recht erinnere. Mit einer etwa zwei Daumen breiten Klinge, die sich von der Form her ebenso zum Aufschlitzen wie zum Zustoßen eignete, nicht?« Eragon nickte, und der Waffenmeister zog murmelnd ein paar Schwerter aus dem Regal, die er durch die Luft schwenkte, nur um sie sichtlich unzufrieden gleich wieder zurückzulegen. »Elfenklingen sind häufig schmaler und leichter als unsere oder die der Zwerge, dank der Zauber, die sie hineinschmieden. Wenn wir auch so zierliche Schwerter machten, würden sie im Kampf nicht eine Minute halten, ohne sich zu verbiegen, abzubrechen oder so schnell zu zerbröseln, dass man nicht mal weichen Käse damit schneiden könnte.« Sein Blick schoss zu Bloëdhgarm hinüber. »Hab ich recht, Elf?«
»Was immer du sagst, Mensch«, antwortete der im gleichen Tonfall.
Fredric nickte und prüfte die Klinge eines weiteren Schwertes, ließ es dann aber schnaubend wieder ins Regal fallen. »Was bedeutet, dass das neue Schwert wahrscheinlich schwerer sein wird, als du es gewöhnt bist. Das sollte dir eigentlich keine Schwierigkeiten bereiten, Schattentöter. Du musst nur bedenken, dass das zusätzliche Gewicht deine Bewegungen verlangsamen wird.«
»Danke für den Hinweis«, sagte Eragon.
»Keine Ursache. Dafür bin ich ja da: um so viele der Varden vor dem Tod zu bewahren, wie ich kann, und ihnen zu helfen, so viele von Galbatorix’ verdammten Soldaten zu erledigen wie möglich. Eine schöne Arbeit.« Er wandte sich von dem Regal ab und ging zu einem anderen hinüber, das hinter einem Stapel rechteckiger Schilde stand. »Für jemanden das richtige Schwert zu finden, ist eine Kunst für sich. Es soll sich anfühlen wie eine Verlängerung des eigenen Armes, als wäre es angewachsen. Man darf gar nicht darüber nachdenken müssen, wie man es führen will, sondern muss so instinktiv damit umgehen wie ein Reiher mit seinem Schnabel oder ein Drache mit den Klauen. Ein perfektes Schwert ist völlig eins mit dir: Es macht alles, was du willst.«
»Das klingt sehr poetisch.«
Bescheiden zuckte Fredric die Achseln. »Ich wähle schon seit sechsundzwanzig Jahren Waffen für Männer aus, die in den Krieg ziehen. Das geht einem nach einer Weile in Fleisch und Blut über. Man fängt an, über das Schicksal nachzudenken, und fragt sich, ob der junge Bursche, den man mit einer Pike weggeschickt hat, noch am Leben wäre, wenn man ihm stattdessen eine Keule gegeben hätte.« Fredric hielt einen Augenblick inne, während seine Hand über dem mittleren Schwert im Regal schwebte, und sah Eragon an. »Kämpfst du lieber mit oder ohne Schild?«
»Mit«, sagte Eragon. »Aber ich kann nicht die ganze Zeit einen mit mir herumtragen. Und leider scheint nie einer griffbereit zu sein, wenn ich ihn brauche.«
Fredric tippte auf das Heft des Schwertes. »Hm. Dann brauchst du also ein Schwert, das du allein benutzen kannst, das aber nicht zu lang ist, um es auch mit jeder Art von Schild zusammen zu verwenden. Das heißt, ein mittellanges, das man leicht mit einem Arm schwingen kann. Eins, das man zu jeder Gelegenheit tragen kann, elegant genug für eine Krönungsfeier und stabil genug, um eine Horde Kull in die Flucht zu schlagen.« Er verzog das Gesicht. »Dass Nasuada sich mit diesen Ungeheuern verbündet hat, ist nicht normal. Das kann nicht gut gehen. Wir und die, das passt einfach nicht zusammen...« Er schüttelte den Kopf. »Zu schade, dass du nur ein Schwert brauchst. Oder habe ich das falsch verstanden?«
»Nein. Saphira und ich sind viel zu viel unterwegs, um ein halbes Dutzend Schwerter durch die Gegend zu schleppen.«
»Ich schätze, du hast recht. Außerdem erwartet man von einem Krieger wie dir, dass er nur ein Schwert hat. Ich nenne das den Fluch des Schwertnamens.«
»Was ist das denn?«
»Jeder große Krieger«, sagte Fredric, »hat ein Schwert - für gewöhnlich ist es ein Schwert -, das einen Namen trägt. Entweder gibt er ihm den Namen selbst oder die Barden tun es, wenn er sein Können erst einmal unter Beweis gestellt hat. Und dann muss er dieses Schwert benutzen. Das erwartet man von ihm. Käme er ohne dieses Schwert zu einer Schlacht, würden ihn seine Mitstreiter danach fragen und überlegen, ob er sich seines Erfolgs schämt und sie beleidigen will, und selbst seine Feinde könnten verlangen, dass er erst sein berühmtes Schwert holt, bevor sie gegen ihn kämpfen. Du wirst schon sehen. Sobald du mit dem neuen Schwert gegen Murtagh kämpfst oder sonst etwas Bemerkenswertes damit anstellst, werden die Varden darauf bestehen, ihm einen Namen zu geben. Und von da an werden sie immer Ausschau danach halten.« Er trat zu einem dritten Regal. »Ich hätte ja nie gedacht, dass es mir einmal vergönnt sein würde, einem Drachenreiter dabei zu helfen, seine Waffe auszusuchen. Was für ein Glück. Ich habe das Gefühl, das ist die Krönung meiner Arbeit für die Varden.«
Er nahm ein Schwert heraus und reichte es Eragon. Der bewegte es hin und her und schüttelte dann den Kopf. Der Griff hatte die falsche Form für seine Hand. Der Waffenmeister wirkte trotzdem nicht enttäuscht; es schien ihn im Gegenteil eher anzuspornen, als genieße er die Herausforderung, die Eragon darstellte. Er zeigte ihm ein anderes, doch Eragon schüttelte erneut den Kopf. Das Schwert war zu kopflastig für seinen Geschmack.
»Was mir Sorgen macht«, sagte Fredric und kehrte zu dem Regal zurück, »ist, dass jedes Schwert, das ich dir geben werde, Stöße abfangen muss, die keine normale Klinge aushält. Was du brauchst, ist Zwergenarbeit. Ihre Schmiede sind die besten neben denen der Elfen, und manchmal übertreffen sie sie sogar.« Fredric sah Eragon nachdenklich an. »Aber warte mal, ich hab ja die falschen Fragen gestellt! Wie hat man dir beigebracht, Angriffe abzublocken und zu parieren? Kante auf Kante? Ich glaube, ich habe dich mal so etwas machen sehen, als du in Farthen Dûr gegen Arya gekämpft hast.«
Eragon runzelte die Stirn. »Na und?«
»Na und!« Fredric lachte schallend. »Bei allem Respekt, Schattentöter, aber wenn du die Kante eines Schwertes gegen eine andere schlägst, werden beide großen Schaden nehmen. Vielleicht ist das ja kein Problem bei einem verzauberten Schwert wie Zar’roc, aber das kannst du mit keinem der Schwerter machen, die ich hier habe; es sei denn, du willst deine Waffe nach jeder Schlacht austauschen.«
In Eragons Kopf flackerte das Bild von Murtaghs schartiger Klinge auf, und er fragte sich ärgerlich, wie er etwas so Offensichtliches hatte vergessen können. Er war an Zar’roc gewöhnt, das nie stumpf wurde, nie Abnutzungserscheinungen zeigte, und soweit er wusste, gegen die meisten Zauber immun war. Er war sich nicht einmal sicher, ob es überhaupt möglich war, das Schwert eines Reiters zu zerstören. »Darüber brauchst du dir nicht den Kopf zu zerbrechen. Ich werde das Schwert auf magische Weise schützen. Können wir jetzt weitermachen?«
»Noch eine Frage, Schattentöter. Hält so ein Zauber ewig?«
Eragons Stirnfalten vertieften sich. »Wenn du so fragst, nein. Nur eine einzige Elfe versteht sich auf die Kunst, ein Drachenreiterschwert zu schmieden, und sie hat mir ihr Geheimnis nicht verraten. Ich kann immer nur eine gewisse Menge an Energie in ein Schwert fließen lassen. Sie verhindert seine Zerstörung so lange, bis sie erschöpft ist. Dann kehrt das Schwert in seinen ursprünglichen Zustand zurück und bricht möglicherweise bei der nächsten Attacke.«
Fredric kratzte sich am Bart. »Das bedeutet also, Schattentöter, wenn du lange genug auf den Soldaten herumdrischst, ist der Zauber irgendwann abgenutzt, und je stärker du zuschlägst, desto schneller ist er weg. Oder?«
»Genau.«
»Dann solltest du es trotzdem vermeiden, Kante auf Kante zu schlagen, weil das mehr an deinem Schutzzauber zehren wird als irgendein anderer Streich.«
»Dafür habe ich keine Zeit«, fuhr Eragon ihn an, dessen Geduld am Ende war. »Ich kann jetzt nicht eine völlig neue Kampftechnik lernen. Das Imperium kann jeden Moment angreifen. Ich muss mich darauf konzentrieren, das zu trainieren, was ich beherrsche.«
Fredric klatschte in die Hände. »Dann hab ich genau das Richtige für dich!« Er rannte zu einer Kiste voller Waffen und wühlte vor sich hin murmelnd darin herum. »Erst das hier, dann das und dann schauen wir mal.« Ganz unten aus der Kiste förderte er einen großen schwarzen Streitkolben mit einem stachelbesetzten Kopf zutage.
Fredric klopfte mit einem Fingerknöchel dagegen. »Damit kannst du Schwerter zerbrechen, Brustpanzer zertrümmern, Helme einschlagen und alles Mögliche, ohne dass er den geringsten Schaden nimmt.«
»Das ist ja eine Keule«, protestierte Eragon. »Eine Keule aus Metall.«
»Na wenn schon. Mit deinen Kräften kannst du sie schwingen, als wäre sie so leicht wie ein Schilfrohr. Der Schrecken der Schlachtfelder wirst du damit sein.«
Eragon schüttelte den Kopf. »Nein. Dinge zu zertrümmern, entspricht nicht meinem Kampfstil. Im Übrigen hätte ich Durza nie mitten ins Herz treffen können, wenn ich anstelle eines Schwertes so ein Monstrum geschwungen hätte.«
»Dann hab ich nur noch einen Vorschlag, es sei denn, du bestehst auf einem ganz gewöhnlichen Schwert.« Aus einer anderen Ecke holte er eine Waffe, die er als Falchion bezeichnete. Es war ein Schwert, aber nicht von der Sorte, die Eragon gewöhnt war, auch wenn er es bei den Varden schon gesehen hatte. Es bestand aus einem polierten scheibenförmigen Knauf, glänzend wie eine Silbermünze, einem kurzen, mit schwarzem Leder überzogenen Holzgriff, einer geschwungenen Parierstange, die mit einer Reihe von Zwergenrunen versehen war, und einer einschneidigen Klinge, so lang wie sein ausgestreckter Arm. Auf beiden Seiten verlief in der Nähe des Rückens eine dünne Rille. Die Klinge war zunächst gerade, aber gut sechs Zoll vor dem Ende wölbte sich der Rücken und bildete eine Zacke, bevor er mit einer sanften Kurve in eine scharfe Spitze mündete. Es sah aus wie der Reißzahn eines Raubtiers. Die Verbreiterung der Klinge sollte verhindern, dass die Spitze sich verbog oder abbrach, wenn man sie durch Rüstungen trieb. Anders als ein Doppelklingenschwert hielt man das Falchion mit der Klinge und der Parierstange im rechten Winkel zum Boden. Aber das Seltsamste an der Waffe waren der halbe Zoll der Klinge, die Schneide inbegriffen, der perlgrau und wesentlich dunkler war als der spiegelglatte Stahl darüber. Die Grenze zwischen den beiden Bereichen war wellig wie ein Seidenschal, der sich im Wind kräuselt.
Eragon zeigte auf den grauen Streifen. »So was hab ich noch nie gesehen. Was ist das?«
»Die Thriknzdal«, sagte Fredric. »Eine Erfindung der Zwerge. Sie tempern die Schneide und den Rücken unterschiedlich. Die Schneide machen sie härter, als wir es mit all unseren Schwertern je wagen würden. Die Mitte der Klinge und den Rücken härten sie so, dass der Rücken weicher wird als die Schneide, so weich, dass er sich verbiegen kann und nicht im Eifer des Gefechts bricht wie eine Feile, die Frost abbekommen hat.«
»Behandeln die Zwerge alle ihre Schwerter so?«
Fredric schüttelte den Kopf. »Nur die einschneidigen und die besten ihrer zweischneidigen.« Er zögerte und in seinem Blick lag Unsicherheit. »Du verstehst, warum ich das hier für dich ausgesucht habe, Schattentöter?«
Eragon verstand. Mit der Klinge des Falchion im rechten Winkel zum Boden würde jeder Schlag die Fläche treffen und die Schneide für seine eigenen Angriffe schonen. Und die Handhabung dieses Schwertes verlangte nur eine leichte Umgewöhnung von ihm.
Er trat hinaus ins Freie und nahm eine Kampfposition ein. Dann schwang er das Krummschwert über dem Kopf und ließ es auf einen imaginären Gegner hinabsausen, fuhr herum, machte einen Satz vorwärts und schlug einen unsichtbaren Speer beiseite, sprang fünf Schritt nach links und wirbelte das Schwert hinter dem Rücken von einer Hand in die andere. Atmung und Herzschlag ruhig wie immer, kehrte er schließlich zu Fredric und Bloëdhgarm zurück. Die Wendigkeit und Ausgewogenheit des Falchion hatten Eragon beeindruckt. Es war nicht mit Zar’roc zu vergleichen, aber dennoch ein ausgezeichnetes Schwert.
»Gut ausgewählt«, sagte er.
Fredric musste aber eine gewisse Zurückhaltung bei ihm gespürt haben, denn er sagte: »Und trotzdem bist du nicht ganz zufrieden, Schattentöter.«
Eragon schwang das Krummschwert im Kreis, dann verzog er das Gesicht. »Ich wünschte bloß, es würde nicht aussehen wie ein überdimensionales Abhäutemesser. Ich komme mir damit ziemlich albern vor.«
»Ach, mach dir nichts draus, wenn deine Feinde lachen. Es wird ihnen schon vergehen, sobald du ihnen den Kopf abschlägst.«
Eragon nickte schmunzelnd. »Ich nehme es.«
»Einen Moment noch.« Der Waffenmeister verschwand im Zelt. Dann kam er mit einer schwarzen Lederscheide zurück, die mit silbernen Ornamenten verziert war. Er gab sie Eragon und fragte: »Hast du je gelernt, ein Schwert zu schärfen, Schattentöter? Bei Zar’roc brauchtest du das ja nicht, was?«
»Stimmt«, gab Eragon zu, »aber ich weiß mit dem Wetzstein umzugehen. Ich kann ein Messer schleifen, bis es so scharf ist, dass es einen Faden, den man darauf legt, durchschneidet. Außerdem kann ich ja jederzeit ein bisschen mit Magie nachhelfen, wenn es sein muss.«
Fredric stöhnte auf und klatschte sich so fest auf die Schenkel, dass eine Handvoll Haare von seiner Lederhose aufstoben. »Nein, nein, eine rasiermesserscharfe Schneide ist genau das, was man nicht an seinem Schwert haben möchte. Die Kante muss dick sein, dick und kräftig. Ein Krieger muss in der Lage sein, seine Ausrüstung ordentlich instand zu halten, und dazu gehört auch, dass er weiß, wie man ein Schwert schärft.«
Dann bestand Fredric darauf, Eragon einen neuen Wetzstein zu besorgen und ihm ganz genau zu zeigen, wie man das Falchion mit einer gefechtsbereiten Schneide versah. Dabei saßen sie neben dem Pavillon auf der Erde. Als er davon überzeugt war, dass Eragon seinem Schwert eine völlig neue Schneide schleifen konnte, sagte er: »Du magst mit einer rostigen Rüstung kämpfen. Du magst mit einem verbeulten Helm kämpfen. Aber wenn du den nächsten Sonnenaufgang erleben willst, dann zieh nie mit einem stumpfen Schwert in die Schlacht. Und wenn du gerade eben mit dem Leben davongekommen und so müde bist, als hättest du einen der Beor-Berge erklommen, und dein Schwert ist nicht mehr scharf, dann setz dich hin, sobald es geht, hol deinen Wetzstein raus und schleif. So wie du dich zuerst um dein Pferd oder Saphira und dann um dich selbst kümmern würdest, sollte auch dein Schwert immer Vorrang vor deinen Bedürfnissen haben. Denn ohne es bist du nicht mehr als eine leichte Beute für deine Feinde.«
Sie saßen schon über eine Stunde lang draußen in der Abendsonne, als der Waffenmeister endlich mit seinen Anweisungen fertig war. Da glitt ein kühler Schatten über sie hinweg und Saphira landete ganz in der Nähe.
Du hast dir Zeit gelassen, sagte Eragon. Du hast dir absichtlich Zeit gelassen! Du hättest mich längst abholen können, stattdessen lässt du mich hier sitzen, und ich muss Fredrics Vorträge über Wassersteine und Ölsteine über mich ergehen lassen und ob Leinsamenöl besser ist als ausgelassenes Fett, um Metall vor Rost zu schützen.
Und, ist es besser?
Eigentlich nicht. Es stinkt nur nicht so. Aber das spielt keine Rolle! Warum hast du mich diesem Elend überlassen?
Eins ihrer dicken Augenlider senkte sich zu einem müden Zwinkern. Übertreib nicht. Elend? Uns beide erwartet weitaus schlimmeres Elend, wenn wir nicht ordentlich vorbereitet sind. Das, was der Mann mit den stinkenden Sachen dir gesagt hat, schien wichtig zu sein.
Na ja, vielleicht, gab er zu.
Sie senkte den Kopf und leckte sich die Klauen ihres rechten Vorderbeins.
Nachdem er sich bedankt und von Fredric verabschiedet hatte, vereinbarte Eragon mit Bloëdhgarm einen Treffpunkt. Dann befestigte er das Schwert am Gürtel von Beloth dem Weisen und kletterte auf Saphiras Rücken. Er jauchzte und sie brüllte, als sie die Flügel ausbreitete und zum Himmel aufstieg.
Ihm wurde etwas schwindelig. Er klammerte sich an den Zacken vor ihm und sah zu, wie Menschen und Zelte unter ihm zu flachen Miniaturen zusammenschrumpften. Von oben gesehen war das Lager ein Gitter aus dreieckigen grauen Gipfeln, deren Ostseiten in tiefen Schatten lagen, was die ganze Gegend kariert aussehen ließ. Die Befestigungsanlagen, die das Lager umgaben, wirkten wie Igelborsten; die weiter entfernten weißen Spitzen der Pfähle leuchteten in der tief stehenden Sonne. König Orrins Kavallerie war nur noch eine Ansammlung herumwimmelnder Punkte im nordwestlichen Teil. Im Osten lag tief und dunkel in der welligen Ebene das Urgal-Lager.
Sie stiegen höher.
Die kalte, klare Luft stach Eragon in die Wangen und brannte in seinen Lungen. Er atmete flach. Neben ihnen schwebte eine Wolkenbank, die so kompakt wirkte wie geschlagene Sahne. Saphira stieg in Spiralen um sie herum auf und ihr ausgefranster Schatten jagte über das bauschige Weiß. Ein nasser Wolkenfetzen klatschte Eragon ins Gesicht, sodass er sekundenlang nichts mehr sehen konnte und vor lauter Feuchtigkeit kaum Luft bekam. Prustend wischte er sich übers Gesicht.
Nun waren sie über den Wolken.
Ein roter Adler kreischte sie im Vorbeifliegen an.
Saphiras Flügelschläge wurden angestrengter und Eragon schwirrte der Kopf. Dann glitt sie mit weit ausgebreiteten Schwingen von einer günstigen Thermik zur nächsten, um die Höhe zu halten, ohne höher aufzusteigen.
Eragon schaute nach unten. Sie waren inzwischen so hoch, dass die Entfernung an Bedeutung verlor und die Dinge am Boden nicht länger real wirkten. Das Lager der Varden war ein unregelmäßig geformtes Spielbrett, überzogen von winzigen grauen und schwarzen Rechtecken. Der Fluss war ein silbriges Band, besetzt mit grünen Quasten. Im Süden bildeten die schwefeligen Wolken, die von den Brennenden Steppen aufstiegen, eine glühend orangefarbene Bergkette mit schattenhaften Ungeheuern, die ebenso schnell wieder verschwanden, wie sie auftauchten. Rasch wandte Eragon den Blick ab.
Die beiden ließen sich ungefähr eine halbe Stunde lang vom Wind treiben und genossen schweigend ihr Beisammensein. Ein kurzer Zauber schützte Eragon vor der Kälte. Endlich waren sie wieder einmal allein, so wie damals im Palancar-Tal, bevor das Imperium in ihr Leben eingebrochen war.
Saphira brach schließlich das Schweigen. Wir sind die Herrscher des Himmels.
Hier am oberen Ende der Welt. Eragon streckte den Arm nach oben, als könnte er die Sterne streifen.
Mit einem Abwärtsschlenker tauchte Saphira in einen wärmeren Luftstrom ein, dann stieg sie wieder auf. Morgen wirst du Roran und Katrina vermählen.
Eine seltsame Vorstellung. Dass Roran heiratet und ich derjenige sein soll, der sie traut. Roran als verheirateter Mann... Da fühl ich mich gleich viel älter. Eben waren wir noch kleine Jungen. Aber offenbar können selbst wir dem Lauf der Zeit nicht entrinnen. So folgt eine Generation auf die andere, und bald sind wir an der Reihe, unsere Kinder ins Land hinauszuschicken, um zu tun, was getan werden muss.
Aber nur wenn wir die nächsten paar Monate überleben.
Allerdings.
Saphira schlingerte, von einem Luftwirbel erfasst. Dann sah sie sich nach ihm um und fragte: Fertig?
Los!
Sie neigte sich nach vorn, legte die Flügel eng an den Körper und stieß pfeilschnell hinab. Lachend schwelgte Eragon im Gefühl der Schwerelosigkeit. Er drückte die Beine in Saphiras Flanken, um den Halt nicht zu verlieren, dann streckte er in einem Anfall von Verwegenheit die Arme in die Luft. Das Land unter ihnen drehte sich wie ein Rad, als Saphira durch die Luft kreiselte. Dann wurde sie langsamer, hörte auf zu kreiseln und machte eine Rolle nach rechts, bis sie auf dem Kopf stand.
»Saphira!«, schrie Eragon und trommelte auf ihren Schultern herum.
Während eine Rauchfahne aus ihren Nüstern stob, drehte sie sich wieder auf den Bauch und stürzte auf das Gelände unter ihnen zu, das jetzt immer näher kam. Eragons Ohren gingen zu und er bewegte den Kiefer, als der Druck noch weiter zunahm. Knapp tausend Fuß über der Erde und kurz davor, in die Zelte zu krachen und das Varden-Lager in einen einzigen blutigen Krater zu verwandeln, ließ sich Saphira den Wind unter die Flügel fahren. Der Ruck war so heftig, dass der Zacken, an dem Eragon sich festhielt, ihm fast ins Auge gestochen hätte.
Noch drei kräftige Flügelschläge und sie standen kurz in der Luft, bevor Saphira in einen sanften Gleitflug überging.
Das hat Spaß gemacht!, rief Eragon.
Es gibt nichts Aufregenderes als das Fliegen, denn wenn du dich verschätzt, bist du tot.
Ach, ich hab vollstes Vertrauen in deine Flugkünste. Du würdest uns nie in den Boden rammen.
Sie strahlte vor Freude über das Kompliment.
Als sie Kurs auf sein Zelt nahm, schüttelte sie den Kopf, wobei sie ihm einen leichten Rempler versetzte, und sagte: Ich sollte mich ja langsam daran gewöhnt haben, aber jedes Mal wenn ich so einen Sturzflug abfange, habe ich am nächsten Tag einen solchen Muskelkater, dass ich mich kaum rühren kann.
Er tätschelte sie. Na, morgen musst du ja nicht fliegen. Die Hochzeit ist unsere einzige Verpflichtung, da kannst du zu Fuß hingehen.
Sie brummte zustimmend und landete mitten in einer Staubwolke, wobei sie mit dem Schwanz ein leeres Zelt umriss.
Eragon stieg ab und überließ sie ihrer Körperpflege. Während sechs Elfen in ihrer Nähe blieben, trottete er selbst mit den anderen sechs durchs Lager, bis er die Heilerin Gertrude gefunden hatte. Von ihr ließ er sich das Trauungszeremoniell beibringen, das er am nächsten Tag brauchen würde, und übte noch eine Weile mit ihr, damit ihm im entscheidenden Moment kein peinlicher Schnitzer unterlief.
Dann kehrte er zu seinem Zelt zurück, wusch sich das Gesicht und zog sich um, ehe er mit Saphira, wie versprochen, zum Abendessen mit König Orrin und seinem Gefolge ging.
Spät in der Nacht, als das Festmahl vorüber war, schlenderten die beiden zu seinem Zelt, betrachteten den Sternenhimmel und unterhielten sich über das, was hinter ihnen lag, und das, was ihnen noch bevorstand. Sie waren beide sehr glücklich. Als sie ihr Ziel erreicht hatten, blieb Eragon stehen, schaute zu Saphira hoch und sein Herz wollte schier überfließen vor Liebe.
Gute Nacht, Saphira.
Gute Nacht, Kleiner.

 

 

Die Weisheit des Feuers
titlepage.xhtml
jacket.xhtml
Die Weisheit des Feuers_split_000.html
Die Weisheit des Feuers_split_001.html
Die Weisheit des Feuers_split_002.html
Die Weisheit des Feuers_split_003.html
Die Weisheit des Feuers_split_004.html
Die Weisheit des Feuers_split_005.html
Die Weisheit des Feuers_split_006.html
Die Weisheit des Feuers_split_007.html
Die Weisheit des Feuers_split_008.html
Die Weisheit des Feuers_split_009.html
Die Weisheit des Feuers_split_010.html
Die Weisheit des Feuers_split_011.html
Die Weisheit des Feuers_split_012.html
Die Weisheit des Feuers_split_013.html
Die Weisheit des Feuers_split_014.html
Die Weisheit des Feuers_split_015.html
Die Weisheit des Feuers_split_016.html
Die Weisheit des Feuers_split_017.html
Die Weisheit des Feuers_split_018.html
Die Weisheit des Feuers_split_019.html
Die Weisheit des Feuers_split_020.html
Die Weisheit des Feuers_split_021.html
Die Weisheit des Feuers_split_022.html
Die Weisheit des Feuers_split_023.html
Die Weisheit des Feuers_split_024.html
Die Weisheit des Feuers_split_025.html
Die Weisheit des Feuers_split_026.html
Die Weisheit des Feuers_split_027.html
Die Weisheit des Feuers_split_028.html
Die Weisheit des Feuers_split_029.html
Die Weisheit des Feuers_split_030.html
Die Weisheit des Feuers_split_031.html
Die Weisheit des Feuers_split_032.html
Die Weisheit des Feuers_split_033.html
Die Weisheit des Feuers_split_034.html
Die Weisheit des Feuers_split_035.html
Die Weisheit des Feuers_split_036.html
Die Weisheit des Feuers_split_037.html
Die Weisheit des Feuers_split_038.html
Die Weisheit des Feuers_split_039.html
Die Weisheit des Feuers_split_040.html
Die Weisheit des Feuers_split_041.html
Die Weisheit des Feuers_split_042.html
Die Weisheit des Feuers_split_043.html
Die Weisheit des Feuers_split_044.html
Die Weisheit des Feuers_split_045.html
Die Weisheit des Feuers_split_046.html
Die Weisheit des Feuers_split_047.html
Die Weisheit des Feuers_split_048.html
Die Weisheit des Feuers_split_049.html
Die Weisheit des Feuers_split_050.html
Die Weisheit des Feuers_split_051.html
Die Weisheit des Feuers_split_052.html
Die Weisheit des Feuers_split_053.html
Die Weisheit des Feuers_split_054.html
Die Weisheit des Feuers_split_055.html
Die Weisheit des Feuers_split_056.html
Die Weisheit des Feuers_split_057.html
Die Weisheit des Feuers_split_058.html
Die Weisheit des Feuers_split_059.html
Die Weisheit des Feuers_split_060.html
Die Weisheit des Feuers_split_061.html
Die Weisheit des Feuers_split_062.html
Die Weisheit des Feuers_split_063.html
Die Weisheit des Feuers_split_064.html
Die Weisheit des Feuers_split_065.html
Die Weisheit des Feuers_split_066.html
Die Weisheit des Feuers_split_067.html
Die Weisheit des Feuers_split_068.html
Die Weisheit des Feuers_split_069.html
Die Weisheit des Feuers_split_070.html