KLEINE SCHWERTKUNDE
Nachdem er
die Domia abr Wyrda sicher in
seinem Zelt verstaut hatte, machte sich Eragon auf zum Waffenlager
der Varden, einem geräumigen offenen Zelt mit Gestellen voller
Speere, Schwerter, Piken, Bogen und Armbrüste. In Holzkisten
lagerten Schilde und Lederrüstungen. Die wertvolleren Kettenhemden,
Wämser, Kettenhauben und Beinschienen hingen an hölzernen Ständern.
Hunderte konische Helme glänzten wie poliertes Silber. Dicke
Pfeilbündel standen im Zelt aufgereiht, und in der Mitte saßen rund
zwanzig Pfeilmacher, die damit beschäftigt waren, die Pfeile zu
reparieren, deren Federn bei der Schlacht auf den Brennenden
Steppen beschädigt worden waren. Ein nicht abreißender Strom von
Menschen ging in dem Pavillon ein und aus, manche brachten Waffen
und Rüstungen zur Reparatur, andere neue Rekruten zum Einkleiden
und wieder andere holten Ausrüstungsgegenstände für die
verschiedenen Teile des Lagers. Dabei schrien alle durcheinander,
was ihre Lungen hergaben. Und mittendrin stand der Mann, zu dem
Eragon wollte: Fredric, der Waffenmeister der Varden.
Bloëdhgarm begleitete Eragon. Sobald die
beiden den Fuß unter das Zeltdach gesetzt hatten, wurde es
schlagartig still und sämtliche Blicke richteten sich auf sie. Dann
nahmen die Leute ihre Arbeit wieder auf, schienen sich jetzt jedoch
mehr zu beeilen und sprachen mit gedämpften Stimmen.
Fredric eilte mit zum Gruß erhobenem Arm auf
sie zu. Wie immer trug er seine Rüstung aus zotteligem Rinderleder
- die fast so stank wie das Tier selbst wohl einmal - und quer über
dem Rücken einen massiven Zweihänder, dessen Griff über seine
rechte Schulter ragte. »Schattentöter!«, rief er dröhnend. »Womit
kann ich dir an diesem wunderschönen Nachmittag dienen?«
»Ich brauche ein Schwert.«
Ein gutmütiges Lachen brach durch Fredrics
Bart. »Soso, ich habe mich schon gefragt, wann du deswegen zu mir
kommen würdest. Als du so mit leeren Händen zum Helgrind
aufgebrochen bist, dachte ich, du stehst inzwischen vielleicht über
diesen Dingen und kämpfst jetzt nur noch mit Magie.«
»Nein, nein, so weit ist es noch
nicht.«
»Na ja, ich kann nicht gerade sagen, dass
mir das leidtut. Jeder kann ein gutes Schwert gebrauchen, egal über
wie viel Zauberkraft er verfügt. Am Ende trifft doch immer Stahl
auf Stahl. Wirst schon sehen, auch dieser Krieg gegen das Imperium
wird so enden, dass sich eine Schwertspitze in Galbatorix’
vermaledeites Herz bohrt. Ich verwette einen Jahressold darauf,
dass selbst Galbatorix ein eigenes Schwert besitzt und es
auch benutzt,obwohl er dich mit
einem Fingerschnippen ausnehmen könnte wie einen Fisch. Es geht
doch nichts über das Gefühl von solidem Stahl in der Faust.«
Unterdessen führte er sie zu einem etwas
abseitsstehenden Regal mit Schwertern. »Was für eins willst du
haben? Dein Zar’roc war ein Einhänder, wenn ich mich recht
erinnere. Mit einer etwa zwei Daumen breiten Klinge, die sich von
der Form her ebenso zum Aufschlitzen wie zum Zustoßen eignete,
nicht?« Eragon nickte, und der Waffenmeister zog murmelnd ein paar
Schwerter aus dem Regal, die er durch die Luft schwenkte, nur um
sie sichtlich unzufrieden gleich wieder zurückzulegen.
»Elfenklingen sind häufig schmaler und leichter als unsere oder die
der Zwerge, dank der Zauber, die sie hineinschmieden. Wenn wir auch
so zierliche Schwerter machten, würden sie im Kampf nicht eine
Minute halten, ohne sich zu verbiegen, abzubrechen oder so schnell
zu zerbröseln, dass man nicht mal weichen Käse damit schneiden
könnte.« Sein Blick schoss zu Bloëdhgarm hinüber. »Hab ich recht,
Elf?«
»Was immer du sagst, Mensch«, antwortete der
im gleichen Tonfall.
Fredric nickte und prüfte die Klinge eines
weiteren Schwertes, ließ es dann aber schnaubend wieder ins Regal
fallen. »Was bedeutet, dass das neue Schwert wahrscheinlich
schwerer sein wird, als du es gewöhnt bist. Das sollte dir
eigentlich keine Schwierigkeiten bereiten, Schattentöter. Du musst
nur bedenken, dass das zusätzliche Gewicht deine Bewegungen
verlangsamen wird.«
»Danke für den Hinweis«, sagte Eragon.
»Keine Ursache. Dafür bin ich ja da: um so
viele der Varden vor dem Tod zu bewahren, wie ich kann, und ihnen
zu helfen, so viele von Galbatorix’ verdammten Soldaten zu
erledigen wie möglich. Eine schöne Arbeit.« Er wandte sich von dem
Regal ab und ging zu einem anderen hinüber, das hinter einem Stapel
rechteckiger Schilde stand. »Für jemanden das richtige Schwert zu
finden, ist eine Kunst für sich. Es soll sich anfühlen wie eine
Verlängerung des eigenen Armes, als wäre es angewachsen. Man darf
gar nicht darüber nachdenken müssen, wie man es führen will,
sondern muss so instinktiv damit umgehen wie ein Reiher mit seinem
Schnabel oder ein Drache mit den Klauen. Ein perfektes Schwert ist
völlig eins mit dir: Es macht alles, was du willst.«
»Das klingt sehr poetisch.«
Bescheiden zuckte Fredric die Achseln. »Ich
wähle schon seit sechsundzwanzig Jahren Waffen für Männer aus, die
in den Krieg ziehen. Das geht einem nach einer Weile in Fleisch und
Blut über. Man fängt an, über das Schicksal nachzudenken, und fragt
sich, ob der junge Bursche, den man mit einer Pike weggeschickt
hat, noch am Leben wäre, wenn man ihm stattdessen eine Keule
gegeben hätte.« Fredric hielt einen Augenblick inne, während seine
Hand über dem mittleren Schwert im Regal schwebte, und sah Eragon
an. »Kämpfst du lieber mit oder ohne Schild?«
»Mit«, sagte Eragon. »Aber ich kann nicht
die ganze Zeit einen mit mir herumtragen. Und leider scheint nie
einer griffbereit zu sein, wenn ich ihn brauche.«
Fredric tippte auf das Heft des Schwertes.
»Hm. Dann brauchst du also ein Schwert, das du allein benutzen
kannst, das aber nicht zu lang ist, um es auch mit jeder Art von
Schild zusammen zu verwenden. Das heißt, ein mittellanges, das man
leicht mit einem Arm schwingen kann. Eins, das man zu jeder
Gelegenheit tragen kann, elegant genug für eine Krönungsfeier und
stabil genug, um eine Horde Kull in die Flucht zu schlagen.« Er
verzog das Gesicht. »Dass Nasuada sich mit diesen Ungeheuern
verbündet hat, ist nicht normal. Das kann nicht gut gehen. Wir und
die, das passt einfach nicht zusammen...« Er schüttelte den Kopf.
»Zu schade, dass du nur ein Schwert brauchst. Oder habe ich das falsch
verstanden?«
»Nein. Saphira und ich sind viel zu viel
unterwegs, um ein halbes Dutzend Schwerter durch die Gegend zu
schleppen.«
»Ich schätze, du hast recht. Außerdem
erwartet man von einem Krieger wie dir, dass er nur ein Schwert
hat. Ich nenne das den Fluch des Schwertnamens.«
»Was ist das denn?«
»Jeder große Krieger«, sagte Fredric, »hat
ein Schwert - für gewöhnlich ist es ein Schwert -, das einen Namen
trägt. Entweder gibt er ihm den Namen selbst oder die Barden tun
es, wenn er sein Können erst einmal unter Beweis gestellt hat. Und
dann muss er dieses Schwert
benutzen. Das erwartet man von ihm. Käme er ohne dieses Schwert zu
einer Schlacht, würden ihn seine Mitstreiter danach fragen und
überlegen, ob er sich seines Erfolgs schämt und sie beleidigen
will, und selbst seine Feinde könnten verlangen, dass er erst sein
berühmtes Schwert holt, bevor sie gegen ihn kämpfen. Du wirst schon
sehen. Sobald du mit dem neuen Schwert gegen Murtagh kämpfst oder
sonst etwas Bemerkenswertes damit anstellst, werden die Varden
darauf bestehen, ihm einen Namen zu geben. Und von da an werden sie
immer Ausschau danach halten.« Er trat zu einem dritten Regal. »Ich
hätte ja nie gedacht, dass es mir einmal vergönnt sein würde, einem
Drachenreiter dabei zu helfen, seine Waffe auszusuchen. Was für ein
Glück. Ich habe das Gefühl, das ist die Krönung meiner Arbeit für
die Varden.«
Er nahm ein Schwert heraus und reichte es
Eragon. Der bewegte es hin und her und schüttelte dann den Kopf.
Der Griff hatte die falsche Form für seine Hand. Der Waffenmeister
wirkte trotzdem nicht enttäuscht; es schien ihn im Gegenteil eher
anzuspornen, als genieße er die Herausforderung, die Eragon
darstellte. Er zeigte ihm ein anderes, doch Eragon schüttelte
erneut den Kopf. Das Schwert war zu kopflastig für seinen
Geschmack.
»Was mir Sorgen macht«, sagte Fredric und
kehrte zu dem Regal zurück, »ist, dass jedes Schwert, das ich dir
geben werde, Stöße abfangen muss, die keine normale Klinge aushält.
Was du brauchst, ist
Zwergenarbeit. Ihre Schmiede sind die besten neben denen der Elfen,
und manchmal übertreffen sie sie sogar.« Fredric sah Eragon
nachdenklich an. »Aber warte mal, ich hab ja die falschen Fragen
gestellt! Wie hat man dir beigebracht, Angriffe abzublocken und zu
parieren? Kante auf Kante? Ich glaube, ich habe dich mal so etwas
machen sehen, als du in Farthen Dûr gegen Arya gekämpft
hast.«
Eragon runzelte die Stirn. »Na und?«
»Na und!« Fredric lachte schallend. »Bei
allem Respekt, Schattentöter, aber wenn du die Kante eines
Schwertes gegen eine andere schlägst, werden beide großen Schaden
nehmen. Vielleicht ist das ja kein Problem bei einem verzauberten
Schwert wie Zar’roc, aber das kannst du mit keinem der Schwerter
machen, die ich hier habe; es sei denn, du willst deine Waffe nach
jeder Schlacht austauschen.«
In Eragons Kopf flackerte das Bild von
Murtaghs schartiger Klinge auf, und er fragte sich ärgerlich, wie
er etwas so Offensichtliches hatte vergessen können. Er war an
Zar’roc gewöhnt, das nie stumpf wurde, nie Abnutzungserscheinungen
zeigte, und soweit er wusste, gegen die meisten Zauber immun war.
Er war sich nicht einmal sicher, ob es überhaupt möglich war, das
Schwert eines Reiters zu zerstören. »Darüber brauchst du dir nicht
den Kopf zu zerbrechen. Ich werde das Schwert auf magische Weise
schützen. Können wir jetzt weitermachen?«
»Noch eine Frage, Schattentöter. Hält so ein
Zauber ewig?«
Eragons Stirnfalten vertieften sich. »Wenn
du so fragst, nein. Nur eine einzige Elfe versteht sich auf die
Kunst, ein Drachenreiterschwert zu schmieden, und sie hat mir ihr
Geheimnis nicht verraten. Ich kann immer nur eine gewisse Menge an
Energie in ein Schwert fließen lassen. Sie verhindert seine
Zerstörung so lange, bis sie erschöpft ist. Dann kehrt das Schwert
in seinen ursprünglichen Zustand zurück und bricht möglicherweise
bei der nächsten Attacke.«
Fredric kratzte sich am Bart. »Das bedeutet
also, Schattentöter, wenn du lange genug auf den Soldaten
herumdrischst, ist der Zauber irgendwann abgenutzt, und je stärker
du zuschlägst, desto schneller ist er weg. Oder?«
»Genau.«
»Dann solltest du es trotzdem vermeiden,
Kante auf Kante zu schlagen, weil das mehr an deinem Schutzzauber
zehren wird als irgendein anderer Streich.«
»Dafür habe ich keine Zeit«, fuhr Eragon ihn
an, dessen Geduld am Ende war. »Ich kann jetzt nicht eine völlig
neue Kampftechnik lernen. Das Imperium kann jeden Moment angreifen.
Ich muss mich darauf konzentrieren, das zu trainieren, was ich
beherrsche.«
Fredric klatschte in die Hände. »Dann hab
ich genau das Richtige für dich!« Er rannte zu einer Kiste voller
Waffen und wühlte vor sich hin murmelnd darin herum.
»Erst das
hier, dann das und
dann schauen wir mal.« Ganz unten aus der Kiste förderte er einen
großen schwarzen Streitkolben mit einem stachelbesetzten Kopf
zutage.
Fredric klopfte mit einem Fingerknöchel
dagegen. »Damit kannst du Schwerter zerbrechen, Brustpanzer
zertrümmern, Helme einschlagen und alles Mögliche, ohne dass er den
geringsten Schaden nimmt.«
»Das ist ja eine Keule«, protestierte
Eragon. »Eine Keule aus Metall.«
»Na wenn schon. Mit deinen Kräften kannst du
sie schwingen, als wäre sie so leicht wie ein Schilfrohr. Der
Schrecken der Schlachtfelder wirst du damit sein.«
Eragon schüttelte den Kopf. »Nein. Dinge zu
zertrümmern, entspricht nicht meinem Kampfstil. Im Übrigen hätte
ich Durza nie mitten ins Herz treffen können, wenn ich anstelle
eines Schwertes so ein Monstrum geschwungen hätte.«
»Dann hab ich nur noch einen Vorschlag, es
sei denn, du bestehst auf einem ganz gewöhnlichen Schwert.« Aus
einer anderen Ecke holte er eine Waffe, die er als Falchion
bezeichnete. Es war ein Schwert, aber nicht von der Sorte, die
Eragon gewöhnt war, auch wenn er es bei den Varden schon gesehen
hatte. Es bestand aus einem polierten scheibenförmigen Knauf,
glänzend wie eine Silbermünze, einem kurzen, mit schwarzem Leder
überzogenen Holzgriff, einer geschwungenen Parierstange, die mit
einer Reihe von Zwergenrunen versehen war, und einer einschneidigen
Klinge, so lang wie sein ausgestreckter Arm. Auf beiden Seiten
verlief in der Nähe des Rückens eine dünne Rille. Die Klinge war
zunächst gerade, aber gut sechs Zoll vor dem Ende wölbte sich der
Rücken und bildete eine Zacke, bevor er mit einer sanften Kurve in
eine scharfe Spitze mündete. Es sah aus wie der Reißzahn eines
Raubtiers. Die Verbreiterung der Klinge sollte verhindern, dass die
Spitze sich verbog oder abbrach, wenn man sie durch Rüstungen
trieb. Anders als ein Doppelklingenschwert hielt man das Falchion
mit der Klinge und der Parierstange im rechten Winkel zum Boden.
Aber das Seltsamste an der Waffe waren der halbe Zoll der Klinge,
die Schneide inbegriffen, der perlgrau und wesentlich dunkler war
als der spiegelglatte Stahl darüber. Die Grenze zwischen den beiden
Bereichen war wellig wie ein Seidenschal, der sich im Wind
kräuselt.
Eragon zeigte auf den grauen Streifen. »So
was hab ich noch nie gesehen. Was ist das?«
»Die Thriknzdal«, sagte Fredric. »Eine
Erfindung der Zwerge. Sie tempern die Schneide und den Rücken
unterschiedlich. Die Schneide machen sie härter, als wir es mit all
unseren Schwertern je wagen würden. Die Mitte der Klinge und den
Rücken härten sie so, dass der Rücken weicher wird als die
Schneide, so weich, dass er sich verbiegen kann und nicht im Eifer
des Gefechts bricht wie eine Feile, die Frost abbekommen
hat.«
»Behandeln die Zwerge alle ihre Schwerter
so?«
Fredric schüttelte den Kopf. »Nur die
einschneidigen und die besten ihrer zweischneidigen.« Er zögerte
und in seinem Blick lag Unsicherheit. »Du verstehst, warum ich das
hier für dich ausgesucht habe, Schattentöter?«
Eragon verstand. Mit der Klinge des Falchion
im rechten Winkel zum Boden würde jeder Schlag die Fläche treffen
und die Schneide für seine eigenen Angriffe schonen. Und die
Handhabung dieses Schwertes verlangte nur eine leichte Umgewöhnung
von ihm.
Er trat hinaus ins Freie und nahm eine
Kampfposition ein. Dann schwang er das Krummschwert über dem Kopf
und ließ es auf einen imaginären Gegner hinabsausen, fuhr herum,
machte einen Satz vorwärts und schlug einen unsichtbaren Speer
beiseite, sprang fünf Schritt nach links und wirbelte das Schwert
hinter dem Rücken von einer Hand in die andere. Atmung und
Herzschlag ruhig wie immer, kehrte er schließlich zu Fredric und
Bloëdhgarm zurück. Die Wendigkeit und Ausgewogenheit des Falchion
hatten Eragon beeindruckt. Es war nicht mit Zar’roc zu vergleichen,
aber dennoch ein ausgezeichnetes Schwert.
»Gut ausgewählt«, sagte er.
Fredric musste aber eine gewisse
Zurückhaltung bei ihm gespürt haben, denn er sagte: »Und trotzdem
bist du nicht ganz zufrieden, Schattentöter.«
Eragon schwang das Krummschwert im Kreis,
dann verzog er das Gesicht. »Ich wünschte bloß, es würde nicht
aussehen wie ein überdimensionales Abhäutemesser. Ich komme mir
damit ziemlich albern vor.«
»Ach, mach dir nichts draus, wenn deine
Feinde lachen. Es wird ihnen schon vergehen, sobald du ihnen den
Kopf abschlägst.«
Eragon nickte schmunzelnd. »Ich nehme
es.«
»Einen Moment noch.« Der Waffenmeister
verschwand im Zelt. Dann kam er mit einer schwarzen Lederscheide
zurück, die mit silbernen Ornamenten verziert war. Er gab sie
Eragon und fragte: »Hast du je gelernt, ein Schwert zu schärfen,
Schattentöter? Bei Zar’roc brauchtest du das ja nicht, was?«
»Stimmt«, gab Eragon zu, »aber ich weiß mit
dem Wetzstein umzugehen. Ich kann ein Messer schleifen, bis es so
scharf ist, dass es einen Faden, den man darauf legt,
durchschneidet. Außerdem kann ich ja jederzeit ein bisschen mit
Magie nachhelfen, wenn es sein muss.«
Fredric stöhnte auf und klatschte sich so
fest auf die Schenkel, dass eine Handvoll Haare von seiner
Lederhose aufstoben. »Nein, nein, eine rasiermesserscharfe Schneide
ist genau das, was man nicht an
seinem Schwert haben möchte. Die Kante muss dick sein, dick und
kräftig. Ein Krieger muss in der Lage sein, seine Ausrüstung
ordentlich instand zu halten, und dazu gehört auch, dass er weiß,
wie man ein Schwert schärft.«
Dann bestand Fredric darauf, Eragon einen
neuen Wetzstein zu besorgen und ihm ganz genau zu zeigen, wie man
das Falchion mit einer gefechtsbereiten Schneide versah. Dabei
saßen sie neben dem Pavillon auf der Erde. Als er davon überzeugt
war, dass Eragon seinem Schwert eine völlig neue Schneide schleifen
konnte, sagte er: »Du magst mit einer rostigen Rüstung kämpfen. Du
magst mit einem verbeulten Helm kämpfen. Aber wenn du den nächsten
Sonnenaufgang erleben willst, dann zieh nie mit einem stumpfen
Schwert in die Schlacht. Und wenn du gerade eben mit dem Leben
davongekommen und so müde bist, als hättest du einen der Beor-Berge
erklommen, und dein Schwert ist nicht mehr scharf, dann setz dich
hin, sobald es geht, hol deinen Wetzstein raus und schleif. So wie
du dich zuerst um dein Pferd oder Saphira und dann um dich selbst
kümmern würdest, sollte auch dein Schwert immer Vorrang vor deinen
Bedürfnissen haben. Denn ohne es bist du nicht mehr als eine
leichte Beute für deine Feinde.«
Sie saßen schon über eine Stunde lang
draußen in der Abendsonne, als der Waffenmeister endlich mit seinen
Anweisungen fertig war. Da glitt ein kühler Schatten über sie
hinweg und Saphira landete ganz in der Nähe.
Du hast dir Zeit
gelassen, sagte Eragon. Du hast
dir absichtlich Zeit gelassen! Du hättest mich längst abholen
können, stattdessen lässt du mich hier sitzen, und ich muss
Fredrics Vorträge über Wassersteine und Ölsteine über mich ergehen
lassen und ob Leinsamenöl besser ist als ausgelassenes Fett, um
Metall vor Rost zu schützen.
Und, ist es
besser?
Eigentlich nicht. Es
stinkt nur nicht so. Aber das spielt keine Rolle! Warum hast du
mich diesem Elend überlassen?
Eins ihrer dicken Augenlider senkte sich zu
einem müden Zwinkern. Übertreib nicht.
Elend? Uns beide erwartet weitaus schlimmeres Elend, wenn wir nicht
ordentlich vorbereitet sind. Das, was der Mann mit den stinkenden
Sachen dir gesagt hat, schien wichtig zu sein.
Na ja,
vielleicht, gab er zu.
Sie senkte den Kopf und leckte sich die
Klauen ihres rechten Vorderbeins.
Nachdem er sich bedankt und von Fredric
verabschiedet hatte, vereinbarte Eragon mit Bloëdhgarm einen
Treffpunkt. Dann befestigte er das Schwert am Gürtel von Beloth dem
Weisen und kletterte auf Saphiras Rücken. Er jauchzte und sie
brüllte, als sie die Flügel ausbreitete und zum Himmel
aufstieg.
Ihm wurde etwas schwindelig. Er klammerte
sich an den Zacken vor ihm und sah zu, wie Menschen und Zelte unter
ihm zu flachen Miniaturen zusammenschrumpften. Von oben gesehen war
das Lager ein Gitter aus dreieckigen grauen Gipfeln, deren
Ostseiten in tiefen Schatten lagen, was die ganze Gegend kariert
aussehen ließ. Die Befestigungsanlagen, die das Lager umgaben,
wirkten wie Igelborsten; die weiter entfernten weißen Spitzen der
Pfähle leuchteten in der tief stehenden Sonne. König Orrins
Kavallerie war nur noch eine Ansammlung herumwimmelnder Punkte im
nordwestlichen Teil. Im Osten lag tief und dunkel in der welligen
Ebene das Urgal-Lager.
Sie stiegen höher.
Die kalte, klare Luft stach Eragon in die
Wangen und brannte in seinen Lungen. Er atmete flach. Neben ihnen
schwebte eine Wolkenbank, die so kompakt wirkte wie geschlagene
Sahne. Saphira stieg in Spiralen um sie herum auf und ihr
ausgefranster Schatten jagte über das bauschige Weiß. Ein nasser
Wolkenfetzen klatschte Eragon ins Gesicht, sodass er sekundenlang
nichts mehr sehen konnte und vor lauter Feuchtigkeit kaum Luft
bekam. Prustend wischte er sich übers Gesicht.
Nun waren sie über den Wolken.
Ein roter Adler kreischte sie im
Vorbeifliegen an.
Saphiras Flügelschläge wurden angestrengter
und Eragon schwirrte der Kopf. Dann glitt sie mit weit
ausgebreiteten Schwingen von einer günstigen Thermik zur nächsten,
um die Höhe zu halten, ohne höher aufzusteigen.
Eragon schaute nach unten. Sie waren
inzwischen so hoch, dass die Entfernung an Bedeutung verlor und die
Dinge am Boden nicht länger real wirkten. Das Lager der Varden war
ein unregelmäßig geformtes Spielbrett, überzogen von winzigen
grauen und schwarzen Rechtecken. Der Fluss war ein silbriges Band,
besetzt mit grünen Quasten. Im Süden bildeten die schwefeligen
Wolken, die von den Brennenden Steppen aufstiegen, eine glühend
orangefarbene Bergkette mit schattenhaften Ungeheuern, die ebenso
schnell wieder verschwanden, wie sie auftauchten. Rasch wandte
Eragon den Blick ab.
Die beiden ließen sich ungefähr eine halbe
Stunde lang vom Wind treiben und genossen schweigend ihr
Beisammensein. Ein kurzer Zauber schützte Eragon vor der Kälte.
Endlich waren sie wieder einmal allein, so wie damals im
Palancar-Tal, bevor das Imperium in ihr Leben eingebrochen
war.
Saphira brach schließlich das
Schweigen. Wir sind die Herrscher des
Himmels.
Hier am oberen Ende der
Welt. Eragon streckte den Arm nach oben, als könnte er die
Sterne streifen.
Mit einem Abwärtsschlenker tauchte Saphira
in einen wärmeren Luftstrom ein, dann stieg sie wieder
auf. Morgen wirst du Roran und Katrina
vermählen.
Eine seltsame
Vorstellung. Dass Roran heiratet und ich derjenige sein soll, der
sie traut. Roran als verheirateter Mann... Da fühl ich mich gleich viel älter. Eben waren wir noch
kleine Jungen. Aber offenbar können selbst wir dem Lauf der Zeit
nicht entrinnen. So folgt eine Generation auf die andere, und bald
sind wir an der Reihe, unsere Kinder ins Land hinauszuschicken, um
zu tun, was getan werden muss.
Aber nur wenn wir die
nächsten paar Monate überleben.
Allerdings.
Saphira schlingerte, von einem Luftwirbel
erfasst. Dann sah sie sich nach ihm um und fragte: Fertig?
Los!
Sie neigte sich nach vorn, legte die Flügel
eng an den Körper und stieß pfeilschnell hinab. Lachend schwelgte
Eragon im Gefühl der Schwerelosigkeit. Er drückte die Beine in
Saphiras Flanken, um den Halt nicht zu verlieren, dann streckte er
in einem Anfall von Verwegenheit die Arme in die Luft. Das Land
unter ihnen drehte sich wie ein Rad, als Saphira durch die Luft
kreiselte. Dann wurde sie langsamer, hörte auf zu kreiseln und
machte eine Rolle nach rechts, bis sie auf dem Kopf stand.
»Saphira!«, schrie Eragon und trommelte auf
ihren Schultern herum.
Während eine Rauchfahne aus ihren Nüstern
stob, drehte sie sich wieder auf den Bauch und stürzte auf das
Gelände unter ihnen zu, das jetzt immer näher kam. Eragons Ohren
gingen zu und er bewegte den Kiefer, als der Druck noch weiter
zunahm. Knapp tausend Fuß über der Erde und kurz davor, in die
Zelte zu krachen und das Varden-Lager in einen einzigen blutigen
Krater zu verwandeln, ließ sich Saphira den Wind unter die Flügel
fahren. Der Ruck war so heftig, dass der Zacken, an dem Eragon sich
festhielt, ihm fast ins Auge gestochen hätte.
Noch drei kräftige Flügelschläge und sie
standen kurz in der Luft, bevor Saphira in einen sanften Gleitflug
überging.
Das hat Spaß
gemacht!, rief Eragon.
Es gibt nichts
Aufregenderes als das Fliegen, denn wenn du dich verschätzt, bist
du tot.
Ach, ich hab vollstes
Vertrauen in deine Flugkünste. Du würdest uns nie in den Boden
rammen.
Sie strahlte vor Freude über das
Kompliment.
Als sie Kurs auf sein Zelt nahm, schüttelte
sie den Kopf, wobei sie ihm einen leichten Rempler versetzte, und
sagte: Ich sollte mich ja langsam daran
gewöhnt haben, aber jedes Mal wenn ich so einen Sturzflug abfange,
habe ich am nächsten Tag einen solchen Muskelkater, dass ich mich
kaum rühren kann.
Er tätschelte sie. Na, morgen musst du ja nicht fliegen. Die Hochzeit ist
unsere einzige Verpflichtung, da kannst du zu Fuß
hingehen.
Sie brummte zustimmend und landete mitten in
einer Staubwolke, wobei sie mit dem Schwanz ein leeres Zelt
umriss.
Eragon stieg ab und überließ sie ihrer
Körperpflege. Während sechs Elfen in ihrer Nähe blieben, trottete
er selbst mit den anderen sechs durchs Lager, bis er die Heilerin
Gertrude gefunden hatte. Von ihr ließ er sich das
Trauungszeremoniell beibringen, das er am nächsten Tag brauchen
würde, und übte noch eine Weile mit ihr, damit ihm im
entscheidenden Moment kein peinlicher Schnitzer unterlief.
Dann kehrte er zu seinem Zelt zurück, wusch
sich das Gesicht und zog sich um, ehe er mit Saphira, wie
versprochen, zum Abendessen mit König Orrin und seinem Gefolge
ging.
Spät in der Nacht, als das Festmahl vorüber
war, schlenderten die beiden zu seinem Zelt, betrachteten den
Sternenhimmel und unterhielten sich über das, was hinter ihnen lag,
und das, was ihnen noch bevorstand. Sie waren beide sehr glücklich.
Als sie ihr Ziel erreicht hatten, blieb Eragon stehen, schaute zu
Saphira hoch und sein Herz wollte schier überfließen vor
Liebe.
Gute Nacht,
Saphira.
Gute Nacht,
Kleiner.